Freitag, Juni 02, 2006

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Ich bin unterwegs in einem Mietwagen - seit mittlerweile acht Stunden hinter dem Steuer einer dunklen Limousine. Ich bin erschöpft und versuche mich streckenweise durch miese 80er-Jahre-Hits wach zu halten. Meine silberne Kaffeekanne ist schon seit geraumer Zeit leer und auf dem Beifahrersitz liegen noch einige Butterkeksreste. Ich weiß nicht genau, wohin ich muss. Industriegebiet. Lagerhalle. Kleine Wohnung. Das ist eigentlich alles, was ich weiß. Ich entschließe mich, das ominöse GPS-Gerät zu benutzen, tippe die Adresse ein und lasse mich ab sofort von einer etwas quäkenden Frauenstimme durch die Nacht führen. Mittlerweile ist es schon zwanzig vor eins und Regen prasselt auf das Autodach. Ich bin in einem Industriegebiet angekommen, fahre seit zwanzig Minuten immer wieder um den Block und höre: "Die nächste Straße links abbiegen. Die nächste Straße links abbiegen. Die nächste Straße links abbiegen. Die nächste Straße links abbiegen. Sie haben Ihr Ziel erreicht." Aber ich finde die Hausnummer 26 nicht. Völlig genervt rufe ich Katrin an, die mir diese Übernachtungsmöglichkeit vermittelt hat. Irgendwie fühle ich mich in dieser Umgebung nicht wohl. Ein paar Schattengestalten laufen durch die Industriekulisse und das Ganze erinnert von der Stimmung, an alte Edgar-Wallace-Filme. So wirklich beängstigend jetzt! Katrin geht endlich an ihr Handy. Sie ist schon leicht angetrunken. "Der Eingang ist doch im Hinterhof, gleich bei der Heißmangel die Einfahrt rein." Na super. Ich wünsche ihr noch ne gute Nacht, parke den Wagen direkt vor dem erwähnten Geschäft und gehe durch die Toreinfahrt in den Hinterhof. Plötzlich knallt es ganz dich neben mir. Ich springe verschreckt zur Seite und eine schwarze Katze mit einer weißen Pfote vorne rechts, kreuzt meinen Weg. Den Schlüssel finde ich wie verabredet in einem Blumentopf am Fenster. Ich schließe die Tür der Lagerhalle auf, muss quer durch die Halle zu einer kleinen Treppe, die zu der Zweiraumwohnung hinaufführt. Es ist alles sehr einfach eingerichtet, aber Kalle, der unten auch seine Lagerhalle und eine Werkstatt hat, übernachtet hier nur sehr selten und daher sind die Ansprüche gering. Ich stelle meine Tasche auf das Bett, gehe kurz ins Bad und ziehe mir meinen Pyjama an. Ich bin völlig fertig. Zum Glück ist morgen Sonntag und ich kann erst einmal ausschlafen. Ich will die Vorhänge zuziehen, werfe noch einen Blick nach draußen und sehe, dass im Wagen noch das Licht an ist. Mist! Kurz überlege ich, ob ich es einfach die Nacht brennen lassen soll, dann entscheide ich mich doch, noch einmal nach draußen zu gehen - hilft ja nichts! Ich laufe durch die Halle, den Hinterhof und die Einfahrt nach draußen zum Auto. Im Pyjama. Wirklich fit bin ich nicht mehr. Nachdem ich das Licht gelöscht habe, stelle ich nämlich fest, dass ich den Wohnungsschlüssel nicht mitgenommen habe, auch nicht das Handy und Geld natürlich auch nicht. Jetzt stehe ich mitten in der Nacht im Industriegebiet einer fremden Stadt auf der Straße - barfuß - und das Wetter ist weit davon entfernt, es mediterran nennen zu dürfen. In meiner Verzweifelung versuche ich mit meiner Bankkarte die Wohnungstür zu öffnen. Im Film geht das immer alles so leicht. Bis auf einige Kratzer und einen leichten Knick an meiner Karte, tut sich überhaupt nichts. Tja, was nun? Ich könnte die Nacht im Wagen verbringen, den Autoschlüssel habe ich ja. Tolle Idee! Leider verändert sich dadurch meine Situation nicht merklich. Ich finde auch die Gegend nicht so angenehm, um mich im Auto süßen Träumen hinzugeben. Ich steige in den Wagen und beschließe, eine Tankstelle zu finden. Es gelingt mir nach einer Viertelstunde. Hinter dem Tresen ein sehr stämmiger Typ - Marke Bud Spencer. Er macht einen freundlichen Eindruck und ich versuche ihm meine Situation zu schildern. Er sagt, er habe einen Freund - Jim - er sei im Schlüsseldienstgewerbe und er könne ihn anrufen. Als er mir sagt, dass es 150,- Euro kosten wird, fange ich auf der Stelle an zu weinen. Der "Tankwart" ist von diesem emotionalen Ausbruch sichtlich überrascht und ihm steigen die Tränen in die Augen. Ich verspüre stark das Bedürfnis ihn in meine Arme zu schließen, merke jedoch, dass ich dieses junge Pflänzchen unserer Beziehung nicht gleich im Wasser der Emotionen ertränken darf und - ich lasse es. Er bittet mich in einen kleinen Nebenraum und schenkt mir einen Kaffee ein. Bud, na ja eigentlich heißt er Martin, fängt an, mir aus seinem Leben zu erzählen. Ich vergesse total meine beschissene Situation und, dass ich im Pyjama einem fremden Typen gegenüber sitze, irgendwo im Nirgendwo.

Plötzlich packt mich etwas an der Schulter und rüttelt mich. Ich sehe nach oben und schaue in Birgits Gesicht. Unsere WG in Hamburg besteht aus Birgit, Sabine und mir. „Mensch Natalie, steh auf! Du kommst zu spät zu deinem Vorstellungsgespräch.“ Ich springe auf und laufe zum Fenster: Hamburg. Sonne. 16 Grad.